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Somatosensorische Therapien

In der integrativen Heilkunde gibt es eine riesige und sehr heterogene Gruppe von Verfahren, die zu therapeutischen Zwecken die Haut und tiefer liegende Gewebe reizen. Die Rede ist von Interventionen, wie Akupunktur, Massage und der therapeutischen Anwendung von Wärme. Sie gehören zu den ältesten bekannten Therapien der Menschheit und vermitteln ihre Reize auf sehr unterschiedliche Weise. So verwendet etwa die Akupunktur dünne Metallnadeln, die Moxibustion lokale Hitze und das Schröpfen verschiedene Hohlkörper, in denen ein Unterdruck erzeugt wird. Aber auch chemische Substanzen und elektrische Ströme werden zur Stimulation verwendet – erstere etwa bei Fußbädern, Brustwickeln mit Senföl, sowie Wärmepflastern auf Capsaicin-Basis, letztere bei der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS), die auch in der modernen Schmerztherapie weit verbreitetet ist.

 

Obwohl sich all diese Verfahren aus phänomenologischer Sicht stark ähneln – in allen Fällen wird die Haut stimuliert und stets wird dies von den Patient:innen gespürt – gibt es bisher keine einheitliche Nomenklatur, um sie wissenschaftlich zu beschreiben. Am Insula-Institut sprechen wir in diesem Kontext von somatosensorischen Therapien. Dieser Begriff drückt aus, dass es aus neurowissenschaftlicher Sicht bei allen genannten Verfahren zu einer Stimulation des somatosensorischen Nervensystems kommt, welches unsere körperlichen Empfindungen vermittelt. Zugleich ist es jedoch eine noch zu beweisende Hypothese, dass es sich bei dieser Stimulation nicht nur um einen Nebeneffekt, sondern im Gegenteil um den zentralen Wirkmechanismus der Therapien handelt.

Die klinische Evidenzlage somatosensorischer Therapieverfahren ist teilweise sehr gut. So kann etwa Schröpfen chronische Schmerzen lindern und Akupunktur selbst schwere Erkrankungen, wie Angina Pectoris, Depressionen und Schlaganfälle erfolgreich behandeln. Massagen können sowohl die Gesundheit der Mutter als auch die Frühgeburtlichkeit und das Geburtsgewicht der Kinder positiv beeinflussen. Die Wirkmechanismen, die all diesen Effekten zugrunde liegen, sind dagegen noch nicht abschließend geklärt.

 

Das Hauptziel bei der Erforschung somatosensorischer Therapien besteht in der Aufklärung ihrer zentralnervösen Wirkmechanismen beim Menschen.

Wirkmechanismen der Akupunktur 

Die Akupunktur gehört zu den ältesten therapeutischen Methoden der Medizin. So erwähnen Texte der traditionellen chinesischen Medizin die Akupunktur schon um das Jahr 100 vor unserer Zeit. Vermutlich wurden scharfe Steine und angespitzte Knochen sogar schon um 6000 vor unserer Zeit in einer der Akupunktur ähnlichen Weise verwendet (White & Ernst 2004). Die Akupunktur verfügt somit über einen mehr als 2000 Jahre alten Erfahrungsschatz an therapeutischem Wissen. Moderne Forschung, beispielsweise die GERAC-Studie aus dem Jahr 2007 bestätigten zudem die Wirksamkeit für bestimmte Schmerzerkrankungen (Haake et al. 2007). Trotzdem wird die Wirksamkeit der Akupunktur immer wieder angezweifelt. Besonders die traditionellen Erklärungen über die Wirkweise der Akupunktur stoßen in der klassischen Schulmedizin häufig auf Ablehnung. Ein Ziel des Insula-Instituts ist es, die Wirkmechanismen in der Sprache der westlichen Medizin und Wissenschaft zu erklären. Ein erster Schritt hierfür ist es, den Blick dafür zu öffnen, warum die Wirkung der Akupunktur mit den üblichen westlichen Forschungsmethoden gar nicht so leicht zu erforschen ist.

 

Ein wissenschaftliches Feld, in dem die Erforschung der Akupunktur besonders weit vorangeschritten ist, sind die Neurowissenschaften. Neben unzähligen tierexperimentellen Studien werden hier beispielsweise seit mehr als 20 Jahren Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) am Menschen durchgeführt, die schon früh gezeigt haben, dass Akupunktur – ganz egal an welchem Akupunkturpunkt gestochen wird – eine beruhigende Wirkung auf diejenigen Gehirnareale hat, die bei chronischen Schmerzen und psychischer Belastung vermehrt aktiviert sind (Hui et al. 2010). Auch im Insula-Institut führen wir in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover eigene fMRT-Studien zur Akupunktur durch. Dabei erforschen wir unter anderem, ob unterschiedliche Akupunkturpunkte eine spezifische Wirkung auf unser autonomes Nervensystem haben.

Literatur:

M. Haake, H.H. Müller, C. Schade-Brittinger, H.D. Basler, H. Schäfer, C. Maier, H.G. Endres, H.J. Trampisch, A. Molsberger. "German Acupuncture Trials (GERAC) for chronic low back pain: randomized, multicenter, blinded, parallel-group trial with 3 groups" in Arch Intern Med. Vol.167, no.17,pp. 1892-8, 2007. hier

K.K. Hui, O. Marina, J. Liu, B.R. Rosen, K.K. Kwong "Acupuncture, the limbic system, and the anticorrelated networks of the brain" in Auton Neurosci. vol. 157, no.1-2, pp.  81-90, 2010. hier

A. White and E. Ernst "A brief history of acupuncture" in Rheumatology, vol. 43, no. 5, pp. 662-3, 2004. hier

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